Cosmonauts Gennadi Manakov and Alexander Polischuk dancing

Cosmonauts Gennadi Manakov and Alexander Polischuk dancing with the
Cosmic Dancer on the Mir space station, 1993

Kommentar von Kosmonaut Alexander Polischuk

Übersetzt aus der russischen Sprache von einer Audioaufnahme auf der Mir Weltraumstation

"Sich unter Schwerelosigkeit im Weltraum zu befinden, ist ein gänzlich neues Phänomen für einen Menschen, der die ganze Zeit auf der Erde lebte.

Es ist sogar schwierig, zu erklären, was das für ein Gefühl ist. Bis jetzt habe ich als Ingenieur nur auf der Erde Tests durchgeführt. Doch nun übe ich einen neuen Beruf als Flieger-Kosmonaut aus. Wir Kosmonauten, die an langfristigen Weltraumprogrammen teilnehmen, müssen "allround"-Kosmonauten sein: wir sind sowohl Monteure als auch Mechaniker. Und in der letzten sind wir auch noch Erdbeobachter geworden. Die Erde ist sehr schön. Doch neben den schönen Aufnahmen müssen wir auch nützliche Informationen herüberbringen. Und in gewissem Sinne sind wir auch Oekologen geworden.

Bevor ich anfing zu fliegen, interessierte ich mich für Kunst und erholte mich von meiner beruflichen Tätigkeit. Während meiner Schulzeit absolvierte ich die Musikschule. Dort spielte ich Saxophon. An Bord haben wir jetzt ein Keyboard, das Jean Luc Cretien mitgebracht hat. In unserer Freizeit spielen wir hin und wieder darauf. Es gibt jedoch auch solche Momente, wo ich wochenlang nicht aus der Sichtluke herausschauen kann, weil auf der Station ständig Bedienungs- und Wartungsarbeiten durchgeführt werden müssen. Die Station ist mehr als sieben Jahre alt und man muss ihr besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Und genau an solchen Tagen, wenn man ein freies Minütchen findet, ist es angenehm, irgendeinen Kunstgegenstand anzuschauen - sei es ein Bild oder eine Skulptur, wie wir sie an Bord mitgenommen haben. 

Als das Frachtraumschiff ankam und wir die Verpackung mit der Skulptur aufmachten, freuten wir uns sehr, denn es war, als ob wir einen alten Bekannten sahen. Doch wir waren etwas überrascht, denn die Farbe war anders als die des Modells, mit welchem wir trainierten - sie war grün. Doch vielleicht war es sogar besser. Die Kombination der hellgrünen und gelben Farbe wirkt beruhigender, und das ist für uns in Stressituationen sehr wichtig.

Die originelle Form der Skulptur ist eckig und avantgardistisch und bringt einen auf verschiedene Gedanken und Phantasien. Man kann in dieser Figur irgendein Wesen sehen. Deshalb ist es interessant, sich an ihrem Anblick zu erfreuen und sie in den Händen zu halten. Wenn man sie in den Händen hält, streichelt man sie und verspürt ein wohliges Gefühl, so als ob man ein lebendiges Wesen hält. Wir sind der Ansicht, dass solche Kunstwerke nicht nur für die Künstler, sondern auch für uns, die Kosmonauten wichtig sind, die die ständige Anwesenheit eines kleinen Kunstwerks als einfach angenehm empfinden.

Wenn man diese Skulptur loslässt, wird sie sich so lange drehen, bis sie auf ein Hindernis stösst, denn die Schwerelosigkeit stört sie nicht und zwingt sie auch nicht, stehen zu bleiben. Der Luftwiderstand ist hier unbedeutend gering und durch den Luftstrom kann sie zum Ventilatornetz gelangen. Deshalb haben wir für sie einen festen Platz gefunden. Dieser befand sich neben meinem Zimmer, und ich als Bordingenieur der Station oder "Stationsvorsteher", wie mich der Besatzungskommandeur scherzhaft nannte, bewahrte sie in meiner Reichweite auf.

Wenn wir den "Cosmic Dancer" frei schweben liessen, konnte er uns immer wieder verloren gehen. Das passierte auch mit anderen Sachen. Wir konnten ihn lange suchen, doch dann stellte sich heraus, dass die Stereotypen beim Menschen stark ausgeprägt sind: wir suchten irgendwo unten, in der Ecke, aber im Weltall ist alles ganz anders. Jeder beliebige Gegenstand kann in den toten Winkel fliegen und sich dort ganz ruhig in unmittelbarer Nähe bei einer Entfernung von einem Meter aufhalten, als ob er sich über uns lustig machte - Guckt, hier bin ich, und ihr seht mich nicht! Aber da der "Cosmic Dancer" ein recht grelles Objekt ist, war es immer ziemlich einfach, ihn zu finden. Die Suchzeit dauerte nie lange.

Der "Cosmic Dancer" ist eine erstaunliche Skulptur, eckig und ungewöhnlich für die klassischen Vorstellungen von Kunst. Uns hat er nichtsdestotrotz Freude bereitet. Und dass es ein "Cosmic Dancer" ist, worauf die englische Aufschrift hindeutete, daran haben wir nie gezweifelt. Es war besonders interessant, mit ihm zur Musik zu tanzen. Tanzen - das ist im übertragenen Sinne gemeint, denn wir kreisten um ihn herum, und auch er bewegte sich frei, so wie er wollte, und es sah so aus, als ob er sich aus irgendeinem Grunde um uns herumdreht. Das kann man durchaus "Tanzen" nennen. Es ist interessant, ihn mit der Sichtluke im Hintergrund zu betrachten, aber man muss sich entscheiden, ob man zur Erde schaut oder auf ihn. Hier sind einfach der kräftige blaue Farbton der Erde oder dir direkten Sonnenstrahlen interessant. Hier spielt der "Cosmic Dancer" mit seinen neuen Farben und sieht etwas anders aus. 

Besonders interessant ist das Verhalten der Konstruktion und überhaupt das Aeussere der Skulptur, wenn ihre eckige Form ein durchsichtiges Medium berührt, d.h. eine Flüssigkeit. In unserem Fall haben wir aufgenommen, wie sie sich in der Nähe von Wasser verhält. Das sind zwei vollkommen gegensätzliche Dinge. Kunst und daneben ein physikalisches Medium, das unter Schwerelosigkeit sehr interessant aussieht: es verhält sich ebenfalls wie ein lebendiges Wesen, es schwingt und schwebt. Diese beiden verschiedenen Formen bewegen sich in gewissem Sinne anders und doch gleich. Hier lassen sich sehr gut das Verhalten einer Flüssigkeit und das Verhalten eines Festkörpers beobachten; sie besitzen ein Trägheitsmoment. Die kreisende Bewegung des Wassers vor unserer Skulptur "Cosmic Dancer" wird irgendwie anders aufgenommen und ist nicht nur im Hinblick auf die Schwerelosigkeit von Interesse, sondern auch vom emotionalen und ästhetischen Standpunkt aus gesehen.

Im Weltraum ändert sich die Wahrnehmung von Musik. Vor dem Schlafengehen habe ich sehr gerne Vivaldi- und Bach-Konzerte gehört. Ich wollte wissen, wie sich Instrumente wie Orgel oder Geige dort anhören. Die Skulpturform hat durch ihre Aussergewöhnlichkeit den Eindruck eines neuen Instruments vermittelt. Und wenn man die Skulptur betrachtet, die sich unter Schwerelosigkeit dreht, und dabei Musik hört, so ergibt sich ein Effekt, der auf der Erde möglicherweise vollkommen unbekannt ist. Es ist schwer, diesen Effekt zu beschreiben.

Ich habe etwas über die Skulptur erzählt, aber man könnte überhaupt unendlich lange über Kunst und über Kunst im Weltraum sprechen. Es wäre sehr interessant, sich mit dem Schöpfer der Skulptur "Cosmic Dancer" oder auch mit anderen Künstlern verschiedener Kunstrichtungen zu treffen und zu unterhalten. Ich würde gerne weitere Fragen bei einem Treffen mit Künstlern, vielleicht auch mit Komponisten, die eine besondere Weltraummusik schaffen, auf der Erde beantworten.

[ English - Englisch ]